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01.11.2019 | permalink
In Europa wuseln mehr Regenwurmarten als in den Tropen

Regenwürmer sind wichtig für das Funktionieren von Ökosystemen und leisten einen wertvollen Beitrag zur Fruchtbarkeit von Ackerböden, wie schon Charles Darwin 1881 in seinem Buch über die Tätigkeit der Bodenbewohner aufzeigte. Sie fressen organisches Material, graben Löcher und mischen Humus und Erde, sie machen Nährstoffe verfügbar, helfen Kohlenstoff in Böden zu speichern oder verbreiten Samen. Doch trotz der großen Bedeutung von Regenwürmern bestehen immer noch enorme Wissenslücken bezüglich der weltweiten Verbreitung der „Baumeister“ des Bodens. Diese zu schließen war das Ziel von 140 internationalen Wissenschaftlern, die in den letzten drei Jahren den weltweit größten Datensatz zusammengestellt haben mit allen verfügbaren Infos rund um den Regenwurm an 6928 Standorten in 57 Ländern. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie nun in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Science. In puncto Artenvielfalt tanzt der Regenwurm aus der Reihe, lautet ihre überraschende Erkenntnis. Denn in den Tropen ist die Artenvielfalt normalerweise größer als an den meisten Orten in den gemäßigten Breiten – zumindest bei Tieren, die an der Erdoberfläche leben. Doch unterirdisch sieht dies wohl anders aus: Die größere Regenwurmvielfalt existiert den Erhebungen zufolge nämlich in Europa. Doch der Klimawandel könnte sich auf das Vorkommen von Regenwürmern und ihre Ökosystemleistungen weltweit negativ auswirken.
Für die Studie hat ein Wissenschaftlerteam unter Führung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig Regenwurmforscher rund um den Globus kontaktiert und sie gebeten, ihre Daten für eine globale Bestandsaufnahme zur Verfügung zu stellen. Es sollte eine Weltkarte entstehen, die so viele Daten wie möglich zur Anzahl der Regenwurmarten, der Anzahl der Individuen (Dichte) und zur Biomasse enthält. „Wissenschaftler haben bereits vor Jahrzehnten herausgefunden, dass an einem beliebigen Ort in den Tropen meist mehr Arten leben als an einem gleichgroßen Ort der gemäßigten Breiten“, sagt Erstautorin Dr. Helen Phillips. „Doch für Regenwürmer konnten wir solche Untersuchungen bisher nicht durchführen, da es keine entsprechenden, globalen Datensätze gab.“ Nun liegt er vor und zeigt, dass sich die meisten Arten (kleinräumig betrachtet) an Orten in Europa, dem Nordosten der USA und Neuseeland finden. Das Gleiche galt auch weitgehend für Dichte und Biomasse: Auch hier gab es ein Mehr an Würmern in den gemäßigten Breiten. Zugleich scheinen Regenwürmer in den Tropen kleinere Verbreitungsgebiete zu haben. „In den Tropen findet man alle paar Kilometer eine neue Gemeinschaft von Regenwurmarten. In kühleren Regionen hingegen bleibt diese mehr oder weniger gleich“, sagt Phillips. Das könne bedeuten, dass in einem bestimmten Gebiet der Tropen zwar nur wenige Arten zu finden seien, die Gesamtzahl aller tropischen Arten aber sehr hoch sei, doch hier müsse weiter geforscht werden. Denn viele tropische Regenwurmarten sind noch gar nicht beschrieben.
Die Studie untersuchte auch, welche Umweltfaktoren Auswirkungen darauf haben, wie viele Regenwürmer und Arten sich an einem Ort tummeln. Mit Niederschlag und Temperatur zusammenhängende Faktoren hatten dabei den größten Einfluss. „Der Klimawandel könnte zu starken Veränderungen bei den Regenwurmgemeinschaften und den von ihnen beeinflussten Ökosystemleistungen führen“, sagt Mitautor Prof. Nico Eisenhauer, Forschungsgruppenleiter bei iDiv und der Universität Leipzig. „Aufgrund ihrer Rolle als Ökosystem-Ingenieure befürchten wir Auswirkungen auf andere Lebewesen wie Mikroorganismen, Bodeninsekten und Pflanzen.“ Es sei daher erforderlich, den Regenwürmern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das gelte übrigens generell für die unterirdische Artenvielfalt und ihr Beitrag zum Funktionieren der Ökosysteme. „Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel beim Schutz der biologischen Vielfalt“, betont Eisenhauer. „Weil wir es nicht sehen, vergessen wir allzu leicht das faszinierende Leben unter unseren Füßen. Regenwürmer mögen im Verborgenen weilen und nicht das Charisma eines Pandas haben. Aber sie sind extrem wichtig für andere Lebewesen und das Funktionieren unserer Ökosysteme.“ (ab)
31.10.2019 | permalink
Studie belegt rasantes Insektensterben in Deutschland

Das Ausmaß des Insektensterbens in Deutschland ist weitaus schlimmer als befürchtet und betrifft fast alle Insektenarten. Das zeigt eine umfassende Studie eines internationalen Forscherteams unter Leitung der Technischen Universität München (TUM), die am 30. Oktober in der Fachzeitschrift Nature erschien. In nur zehn Jahren nahm die Zahl der Insektenarten in Wäldern und auf Wiesen um ein Drittel ab; der Rückgang der Biomasse fiel noch deutlich höher aus. Der Artenschwund zeigt sich vor allem auf Wiesen, die sich in einer stark landwirtschaftlich genutzten Umgebung befinden, aber auch Wald- und Schutzgebiete sind betroffen. Dass es immer weniger Insekten gibt, ist mittlerweile ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Eine Studie basierend auf Erhebungen des Entomologischen Vereins Krefeld in Schutzgebieten hatte gezeigt, dass die Biomasse bei Fluginsekten in 30 Jahren um drei Viertel zurückgegangen war. „Bisherige Studien konzentrierten sich aber entweder ausschließlich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen“, erklärt Dr. Sebastian Seibold vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München. „Dass tatsächlich ein Großteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar.“
Die Wissenschaftler hatten Daten von mehr als einer Million Insekten von etwa 2.700 Arten ausgewertet. Diese stammten aus standardisierten Erhebungen, die zwischen 2008 und 2017 in 150 Grünland- und 140 Waldstandorten in Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg durchgeführt wurden. Auch Wetterschwankungen wurden berücksichtigt, um Messfehler auszuschließen. Sowohl auf den Waldflächen als auch auf den Wiesen fanden sich nach zehn Jahren etwa ein Drittel weniger Insektenarten. „Dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann, haben wir nicht erwartet – das ist erschreckend, passt aber in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen“, sagt Wolfgang Weisser, Professor für Terrestrische Ökologie an der TUM. Die Biomasse ging auf den Wiesen um 67% und in den Wäldern um 41% zurück. Die Wissenschaftler zeigten sich gerade vom Insektenschwund in den Wäldern überrascht: „Bisher war nicht klar, ob und wie stark auch der Wald vom Insektenrückgang berührt ist“, sagt Seibold. Einige seltenere Arten konnten in manchen der beobachteten Regionen gar nicht mehr aufgespürt werden.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass zwischen dem Insektensterben und der Landnutzung im Umfeld der Erhebungsorte ein Zusammenhang besteht. Sie hatten zunächst die Nutzungsintensität der Messstandorte kategorisiert. Diese reichte von nicht gemähten Wiesen in Schutzgebieten, auf denen nur etwa zehn Tage im Jahr maximal 40-50 Schafe pro Hektar weideten und die ansonsten weitgehend unberührt blieben, über nicht gedüngte und nur zweimal jährlich gemähte Wiesen bis hin zu stark bewirtschafteten Flächen, die gedüngt und bis zu vier Mal jährlich gemäht wurden oder auf denen ein Drittel des Jahres Rinder weideten. Auch die Waldflächen unterteilten die Forscher in drei Kategorien von wenig bis stark bewirtschaftet – sie reichen von forstwirtschaftlich geprägten Nadelwäldern bis hin zu ungenutzten Wäldern in Schutzgebieten. Auch das Umfeld der Messorte wurde in Kreisen von bis zu 2 Kilometer untersucht. Besonders stark ausgeprägt war der Schwund auf solchen Grasflächen, die von landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen umgeben waren. Dort litten vor allem die Arten, die nicht in der Lage sind, größere Distanzen zu überwinden.
In Wäldern waren dagegen vor allem jene Insektengruppen mit einem größeren Radius betroffen. „Ob mobilere Arten aus dem Wald während ihrer Ausbreitung stärker mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen oder ob die Ursachen doch auch mit den Lebensbedingungen in den Wäldern zusammenhängen, müssen wir noch herausfinden“, betont Mitautor Dr. Martin Gossner. Dass der Rückgang in Graslandschaften mit dem Anteil landwirtschaftlicher Nutzflächen in der Umgebung in Zusammenhang stehe, sei klar. „Es lässt sich aber nicht feststellen, ob die beobachteten Rückgänge durch die Altlasten der historischen Landnutzungsintensivierung verursacht werden oder durch die jüngste landwirtschaftliche Intensivierung auf Landschaftsebene, z.B. durch die Verringerung der an Pflanzenarten reichen Brachflächen und Feldränder, den verstärkten Einsatz von Pestiziden oder den Einsatz stärkerer Insektizide“, schreiben die Wissenschaftler. Hier seien weitere Studien nötig. (ab)
30.10.2019 | permalink
Studie: Gesündere Lebensmittel sind auch besser für die Umwelt

Eine Ernährung mit gesunden Lebensmitteln ist nicht nur gut für die menschliche Gesundheit, sondern auch für die Umwelt. Diese Erkenntnis mag nicht ganz neu sein, sie wird jedoch in einer Ende Oktober in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlichten Studie bestätigt. Eine Umstellung auf eine gesunde Ernährung, die das Risiko ernährungsbedingter nicht übertragbarer Krankheiten senkt, kann auch dazu beitragen, internationale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, schreiben die Wissenschaftler der University of Oxford und der University of Minnesota. Sie haben analysiert, wie der Konsum von 15 verschiedenen Lebensmittelgruppen sich auf die Gesundheit und die Umwelt auswirkt. Ihr Fazit lautet, dass als gesund erachtete Lebensmittel, wie Vollkorngetreide, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse und einige Pflanzenöle mit einem hohem Gehalt an ungesättigten Fettsäuren, auch geringe Umweltauswirkungen haben. Lebensmittel hingegen, die schlecht für Klima und Umwelt sind, wie z.B. rotes Fleisch, bringen auch ein höheres Krankheitsrisiko mit sich. „Die Studie reiht sich ein in die Fülle an Belegen, dass das Ersetzen von Fleisch und Milchprodukten durch eine Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln sowohl Ihre Gesundheit als auch die Gesundheit des Planeten verbessern kann“, sagte Dr. Marco Springmann von der University of Oxford.
Die Forscher bewerteten pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Kartoffeln, raffiniertes Getreide und Vollkorngetreide sowie gezuckerte Getränke und tierische Lebensmittel, wie rohes und verarbeitetes rotes Fleisch, Hühnchen, Milchprodukte, Eier und Fisch. Sie verglichen, wie sich jeweils eine zusätzliche Portion dieser Lebensmittel pro Tag auswirkte. Dazu werteten sie großangelegte epidemiologische Kohortenstudien aus sowie Ökobilanzstudien, die die Umweltauswirkungen von Lebensmitteln je produzierter Einheit ermittelten. In puncto Gesundheit untersuchten die Forscher fünf Aspekte: Gesamtsterblichkeit, Herzerkrankungen, Schlaganfall, Typ-II-Diabetes und Darmkrebs. Die Umweltanalyse bezog sich auf Treibhausgasemissionen, Landnutzung, Wassernutzung, Wasserverschmutzung (Eutrophierung) und Versauerung.
Als gut für die Gesundheit erwiesen sich Nüsse, minimal verarbeitete Vollkornprodukte, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Olivenöl und Fisch, die mit einer deutlich verringerten Sterblichkeit und/oder einem niedrigeren Risiko für Krankheiten in Verbindung gebracht wurden. Dagegen war „der Konsum von gezuckerten Getränken, unverarbeitetem und verarbeitetem rotem Fleisch immer mit einem erhöhten Krankheitsrisiko verbunden“, schreiben die Autoren. „Von allen untersuchten Lebensmitteln ist eine tägliche Portion verarbeitetes rotes Fleisch mit dem größten durchschnittlichen Anstieg des Sterblichkeitsrisikos und der Häufigkeit von koronare Herzkrankheiten, Typ-II-Diabetes und Schlaganfall verbunden.“ Unter Umweltgesichtspunkten verursachten nur gering verarbeitete pflanzliche Lebensmittel, Olivenöl und gezuckerte Getränke stets die geringsten Belastungen. Die Produktion einer Portion unverarbeiteten roten Fleisches schnitt bei allen fünf Umweltindikatoren am schlechtesten ab. Die Kombination beider Aspekte zeigte, dass gesundheitsfördernde Lebensmittel auch die geringsten Umweltauswirkungen hatten. Die Ausnahme war Fisch, der den Studien zufolge gesund ist und moderate Umweltauswirkungen hat, sowie als ungesund geltende verarbeitete Lebensmittel mit viel Zucker, die relativ geringe Umweltauswirkungen hatten.
„Die Ernährung ist eine der Hauptursachen für Gesundheitsprobleme und Umweltschäden“, sagte der Hauptautor der Studie, Dr. Michael Clark von der University of Oxford. „Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, bedroht die Gesellschaft durch chronische Krankheiten und die Beeinträchtigung des Klimas, der Ökosysteme und der Wasserressourcen der Erde.“ Er hofft, dass die Ergebnisse den Verbrauchern dabei helfen, bessere Entscheidungen zu treffen und Politikern, wirksamere Ernährungsrichtlinien zu erlassen. „Die Entscheidung für eine bessere, nachhaltigere Ernährung ist eine der wichtigsten Wege, wie Menschen ihre Gesundheit verbessern und zum Schutz der Umwelt beitragen können. Wie und wo Lebensmittel hergestellt werden, wirkt sich auch auf die Umwelt aus, allerdings in wesentlich geringerem Maße als die Auswahl der Lebensmittel“, fügte Dr. Clark hinzu. Der Verzehr jener Lebensmittel, die für die menschliche Gesundheit und die Umwelt am besten sind, bewirkt am meisten. Aber die Forscher betonten auch, dass der Konsum von Lebensmitteln mit mittleren Umweltauswirkungen oder solchen, die nicht erheblich zu Gesundheitsproblemen beitragen, wie raffiniertes Getreide, Milchprodukte, Eier und Hühnerfleisch, auch zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen könnten, wenn sie jene Lebensmittel ersetzen, die ungesünder oder umweltschädlicher sind. (ab)
25.10.2019 | permalink
Studie: Größere Artenvielfalt auf dem Acker bringt mehr Ertrag

Felder mit hoher Vielfalt in einer kleinteiligen Agrarlandschaft bieten einen besseren Lebensraum für Tier- und Insektenarten, die wertvolle Dienstleistungen wie Bestäubung und biologische Schädlingskontrolle erbringen. Dies wirkt sich letztendlich positiv auf die Erträge aus, wie eine neue Studie vermeldet, die im Fachjournal Science Advances veröffentlicht wurde. Das mehr als 100 Wissenschaftler umfassende internationale Forscherteam hatte 89 Studien ausgewertet, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Landnutzung, Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen befassen. Insgesamt wurden 1475 Standorte weltweit untersucht – von Maisäckern in den USA über Rapsfelder in Südschweden, Kaffeeplantagen in Indien und Mangoplantagen in Südafrika bis hin zu Weizenfeldern im Alpenraum. Die Ergebnisse zeigen, dass der Verlust an Artenvielfalt zu weniger biologischer Schädlingskontrolle und Bestäubungsleistungen in Agrarlandschaften führt. Weitaus stärker als der Verlust der Insektenmenge wirke sich der Rückgang der Vielfalt aus. Etwa die Hälfte der Verluste an Ökosystemdienstleistungen lasse sich durch die geringere Artenvielfalt und nicht durch eine geringere Menge von Bestäubern oder natürlichen Feinden für Schädlinge erklären.
„Die Natur ist in vielerlei Hinsicht eine herausragende Dienstleisterin für die Landwirtschaft“, betonen Wissenschaftler der Universität Würzburg, unter deren Leitung die Studie durchgeführt wurde. Bienen und Hummeln bestäuben Obstbäume und andere Nutzpflanzen. Schlupfwespen und Raubkäfer fressen Schädlinge, die sich sonst über die Ackerfrüchte hermachen würden. Dazu kommen viele weitere Tierarten, die quasi gratis für den Menschen arbeiten. „Zum Beispiel sind Landwirte weniger auf den Einsatz von Insektiziden angewiesen, wenn eine natürliche Schädlingskontrolle durch eine hohe Biodiversität in Agrarökosystemen gewährleistet ist“, sagt Matteo Dainese, der Hauptautor der Studie. Brechen diese Ökosystem-Dienstleistungen weg, verursacht ihr Ausfall auch eine deutliche Ertragsreduktion. „Eine möglichst große Biodiversität in den Agrarökosystemen wird zunehmend wichtig sein, um Erträge zu sichern und die Auswirkungen des globalen Wandels abzufedern“, betont Ko-Author Ingolf Steffan-Dewenter vom Biozentrum der Uni Würzburg.
Die Wissenschaftler betonen, dass für eine möglichst große Biodiversität gesorgt werden muss, damit sich die Menschheit diese Gratis-Dienstleistungen der Natur nachhaltig sichern kann. Es genüge dabei nicht, auf einige wenige Arten als Bestäuber oder Schädlingsbekämpfer zu vertrauen. „Es wird kontrovers diskutiert, ob einige wenige, dominante Arten ausreichen, um Bestäubung und natürliche Schädlingsbekämpfung zu gewährleisten“, erläutert Zweitautorin Dr. Emily Martin von der Uni Würzburg. „Unsere Untersuchung deutet stark darauf hin, dass eine große Zahl von Arten nötig ist, um die Dienstleistungen der Natur und gute Erträge aufrecht zu erhalten.“ Einen wichtigen Einfluss auf die Artenvielfalt auf den Feldern hat dabei die Ausgestaltung der Agrarlandschaft. Je kleinteiliger die Agrarlandschaft desto höher die Vielfalt an fleißigen Helferlein auf dem Acker. Wo dagegen große Monokulturen vorherrschen, sind Vielfalt und Menge der nützlichen Lebewesen deutlich verringert. „Wir haben festgestellt, dass die Vereinheitlichung der Landschaft indirekt die Ökosystemleistungen beeinflusst, indem sie den Reichtum an leistungserbringenden Organismen reduziert“, schreiben die Forscher. Das betrifft vor allem die Insekten, die nützliche Dienste erweisen, indem sie Schädlinge fressen. Politik und Gesellschaft sollten sich daher einer weiteren Verarmung der Agrarökosysteme entgegenstemmen, fordert Steffan-Dewenter: „Wir brauchen eine Flurbereicherung.“ (ab)
21.10.2019 | permalink
FAO: 14% aller Lebensmittel gehen zwischen Ernte und Handel verloren

Ein Siebtel aller Lebensmittel weltweit gelangt gar nicht erst vom Acker zu den Verbrauchern. Das geht aus einem neuen Bericht der Welternährungsorganisation FAO hervor. Laut „The State of Food and Agriculture 2019“ würde die Reduzierung dieser Verluste sowie der Lebensmittelverschwendung durch Handel und Verbraucher einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssicherheit vieler Menschen, zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Agrarproduktion und zur Senkung der Produktionskosten leisten. Doch um Lebensmittelverluste und -verschwendung effektiv angehen zu können, sei ein vertieftes Verständnis für das Problem notwendig. Dazu liefert der Bericht neue Schätzungen zu Verlusten in den verschiedenen Stufen der Versorgungskette. „Es ist überraschend, wie wenig wir eigentlich darüber wissen, wie viel Lebensmittel verloren gehen oder verschwendet werden, und wo und warum dies geschieht“, sagte FAO-Generaldirektor Qu Dongyu im Vorwort. Einer groben Schätzung aus dem Jahr 2011 zufolge geht jedes Jahr ein Drittel aller produzierten Lebensmittel verloren oder wird verschwendet. „Diese Schätzung wird aufgrund fehlender Informationen in diesem Bereich immer noch häufig zitiert, kann aber nur als sehr grob angesehen werden“, fügt Qu Dongyu hinzu.
Das 12. UN-Nachhaltigkeitsziel (SDG) sieht in einem separaten Unterziel vor, bis 2030 die weltweite Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren und die entlang der Produktions- und Lieferkette entstehenden Nahrungsmittelverluste einschließlich Nachernteverlusten zu verringern. Um Fortschritte messen zu können, haben die FAO und das UN-Umweltprogramm (UN Environment) ein methodisches Rahmenwerk erarbeitet. Der in diesem Bericht vorgestellte Food Loss Index (FLI) soll zeigen, wie viel Lebensmittel in der Produktion oder in der Lieferkette verloren gehen, bevor sie den Handel erreichen. Die Verschwendung durch Einzelhandel und Verbraucher soll der Food Waste Index (FWI) abbilden, der demnächst von UN Environment veröffentlicht wird. „Lebensmittelverluste und -verschwendung wurden in der Regel nach Masse bemessen, wobei Tonnen als Berichtseinheiten verwendet wurden. Obwohl diese Messung für die Abschätzung von Umweltauswirkungen nützlich ist, berücksichtigt sie nicht den ökonomischen Wert verschiedener Rohstoffe“, heißt es im Bericht. So könnten Produkte mit geringerem Wert stärker ins Gewicht fallen, wenn sie mehr wiegen. Daher kalkuliert die FAO nun auch den wirtschaftlichen Wert eines Produkts ein. Demnach gehen weltweit rund 14% aller Lebensmittel nach der Ernte und vor dem Erreichen der Geschäfte verloren, z.B. bei Aktivitäten auf dem Bauernhof, Lagerung und Transport. Allerdings schwanken die Verluste innerhalb derselben Warengruppen und Lieferkettenstufen von Region zu Region erheblich. Betrachtet man die regionale Ebene, reichen die Verluste von 5-6% in Australien und Neuseeland bis hin zu 20-21% in Zentral- und Südasien.
Auf allen Stufen der Versorgungskette seien Verluste und Verschwendung bei Obst und Gemüse generell höher als bei Getreide und Hülsenfrüchten – mit Ausnahme von Verlusten auf Höfen und beim Transport in Ost- und Südostasien. Der Bericht zeigt aber auch eine große Spannweite innerhalb einzelner Produktgruppen, Lieferkettenstufen und Regionen auf. In Subsahara-Afrika etwa reichen auf Höfen und Betrieben die Verluste bei Obst und Gemüse von 0 bis 50%. Dies „zeigt, dass wir das Auftreten von Lebensmittelverlusten und -verschwendung in der gesamten Lebensmittelversorgungskette nicht verallgemeinern können, sondern im Gegenteil kritische Verlustpunkte in bestimmten Lieferketten als entscheidenden Schritt zur Ergreifung geeigneter Gegenmaßnahmen identifizieren müssen“, schreibt Qu Dongyu. Ein kritischer Verlustpunkt sei die Ernte, aber auch ungeeignete Lagereinrichtungen und ein falscher Umgang mit den Erzeugnissen zählen zu den Hauptursachen für Verluste auf dem Hof. Für Obst, Wurzel- und Knollengemüse gelten auch Verpackung und Transport als kritisch. Der Bericht betont jedoch auch, wie wichtig die Verringerung von Lebensmittelabfällen im Einzelhandel und in privaten Haushalten ist.
Die FAO appelliert an Regierungen, die Bekämpfung der Ursachen von Verlusten und Verschwendung zu verstärken und nennt mögliche Maßnahmen. „Die Verringerung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung ist in der Regel mit Kosten verbunden und Landwirte, Lieferanten und Verbraucher werden nur dann die notwendigen Maßnahmen ergreifen, wenn ihre Kosten durch die Vorteile aufgewogen werden.“ Dies erfordere öffentliches Handeln in Form von Investitionen oder Maßnahmen, die Anreize für private Akteure setzen, Lebensmittelverluste und -verschwendung zu reduzieren oder bessere Informationen über schon bestehende Vorteile liefern. Doch selbst wenn die Vorteile bekannt sind, kann es sein, dass bestimmte Akteure keine Gegenmaßnahmen ergreifen können. Als Beispiel nennt der Bericht Kleinbauern in Entwicklungsländern, die ohne finanzielle Hilfe hohe Kosten für Produktionstechniken oder Lagermöglichkeiten, die Verluste reduzieren, nicht tragen können. Ein verbesserter Zugang zu Krediten könnte hier helfen, meint die FAO.
Die Verringerung von Verlusten und -verschwendung könne auch die Ernährungssicherheit gefährdeter Gruppen und den ökologischen Fußabdruck der Lebensmittelproduktion verbessern. Den Autoren zufolge dürften die größten Verbesserungen der Ernährungslage durch die Verringerung der Verluste in den frühen Phasen der Lieferkette eintreten, vor allem in Agrarbetrieben in Ländern mit hoher Ernährungsunsicherheit. In puncto ökologische Nachhaltigkeit sei bei Maßnahmen darauf zu achten, wo Lebensmittelverluste und Abfälle die größten Umweltauswirkungen haben. „Empirische Erkenntnisse auf globaler Ebene bezüglich der Umweltbilanz für die wichtigsten Rohstoffgruppen deuten darauf hin, dass der Schwerpunkt auf Fleisch und tierische Produkte gelegt werden sollte, wenn es darum geht, die Landnutzung zu reduzieren. Sie machen 60% der mit Lebensmittelverlusten und -verschwendung verbundenen Umweltbilanz aus. Wenn es um Wasserverbrauch geht, entfällt auf Getreide und Hülsenfrüchte der größten Beitrag (mehr als 70%), gefolgt von Obst und Gemüse.“ Bei den Treibhausgasemissionen entfällt der größte Batzen wiederum auf Getreide und Hülsenfrüchte (mehr als 60%), gefolgt von Wurzeln, Knollen und ölhaltigen Pflanzen. Aber auch die Umweltbilanz für verschiedene Produkte variiert je nach Region und Land je nach Ertrag und Produktionstechnik, da es einen Unterschied macht, ob ein Produkt z.B. aus Regenfeldbau oder bewässerter Landwirtschaft stammt oder ob Tiere mit Futtermitteln gemästet wurden oder auf Weiden grasten. (ab)
16.10.2019 | permalink
Diskriminierung von Frauen bremst Überwindung des Hungers

Sei es beim Anbau, der Ernte, der Zubereitung oder dem Konsum von Nahrung - Frauen spielen eine zentrale Rolle in den globalen Ernährungssystemen. Doch ihre Diskriminierung verhindert vielerorts die Überwindung von Armut und Hunger und sorgt dafür, dass Frauen überdurchschnittlich stark von Hunger betroffen sind. Darauf macht das neue Jahrbuch zum Recht auf Nahrung aufmerksam, das anlässlich des Welternährungstages am 16. Oktober veröffentlicht wird und zu dem das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt und die Menschenrechtsorganisation FIAN als Mitherausgeber eine deutsche Kurzzusammenfassung veröffentlicht haben. „Frauen werden in vielen Ländern in Bezug auf Bildung, Landrechte, Einkommen oder politische Teilhabe diskriminiert“, sagt Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland. „Ihre tragende Rolle in den Ernährungssystemen bleibt in der Regel im Hintergrund. Zudem sind Frauen oftmals systemischer Gewalt ausgesetzt – insbesondere, wenn sie Unternehmensinteressen oder autoritären Regierungen in die Quere kommen.“
Die Zahl der Menschen, die unter Hunger und „mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit“ leiden, ist zwischen 2014 und 2018 um 300 Millionen auf über zwei Milliarden gestiegen. Weltweit weiß nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO beinahe jeder vierte Mensch nicht, ob es am nächsten Tag Zugang zu ausreichend und qualitativ guter Nahrung geben wird. Frauen und Mädchen leiden besonders stark darunter. „Wegen mangelnder politischer Teilhabe, fehlender rechtlicher Gleichstellung und Diskriminierung beim Zugang zu Land und anderen Ressourcen sind Frauen viel stärker von Ernährungsunsicherheit betroffen als Männer“, so Bernhard Walter, Ernährungsexperte von Brot für die Welt. Doch Frauen organisieren sich in vielen Ländern gegen alle Widerstände, wie das diesjährige Jahrbuch in eindrücklicher Weise aufzeigt. Beispiele aus Mali und Indien demonstrieren, wie Frauen nahrhafte Lebensmittel sozial und ökologisch gerecht anbauen; in den Straßen Brasiliens demonstrieren sie beim „Marsch der Gänseblümchen“ gegen Gewalt im Agrarsektor; Migrantinnen von Mittel- nach Nordamerika verbünden sich gegen Gewalt und Hunger; in Nordsyrien bauen Frauen-Kooperativen gemeinsam Lebensmittel an. Und nicht zuletzt drängen Frauen beim Welternährungsrat der Vereinten Nationen in Rom darauf, dass internationale Entscheidungen ihre Belange berücksichtigen. (ab)
07.10.2019 | permalink
Sinkende Grundwasserspiegel gefährden Ökosysteme weltweit

Das übermäßige Abpumpen von Grundwasser für die Bewässerung in der Landwirtschaft gefährdet Süßwasser-Ökosysteme rund um den Globus. Eine im Fachjournal „Nature“ veröffentlichte Studie warnt, dass in Regionen, in denen seit den 1960er Jahren regelmäßig Grundwasser abgepumpt wird, bis 2050 mit ernsten ökologischen Schäden zu rechnen sein wird. Die Wissenschaftler der Universität Freiburg, Uni Utrecht und der Universität von Victoria/Kanada nutzten ein hydrologisches Modell, mit dem sich die Strömung des Grundwassers zu Bächen, Flüssen und Seen in Zeiten geringen Niederschlags berechnen lässt. „Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten weiter so viel Grundwasser fördern wie bisher, wird in Zukunft auch für Regionen in Süd- und Mitteleuropa wie Portugal, Spanien und Italien sowie in den nordafrikanischen Ländern ein kritischer Punkt erreicht“, erläutert die Hydrologin Dr. Inge de Graaf von der Uni Freiburg. Gefährdet seien darüber hinaus auch Gebiete, in denen die Grundwasserressourcen bisher zwar relativ konstant geblieben seien, die Flüsse aber dennoch nicht mehr in der Lage sind, die Ökosysteme gesund zu erhalten.
„Wenn der Grundwasserspiegel sinkt, fließt weniger Grundwasser in die Flüsse, die Richtung verändert sich oder der Abfluss stoppt ganz, wodurch die Strömung abnehmen wird, was verheerende Auswirkungen auf die aquatischen Ökosysteme haben kann“, schreiben die Autoren. „Betroffen sind schon jetzt der Mittlere Westen der USA und das Indus-Becken-Projekt zwischen Afghanistan und Pakistan“, sagt de Graaf. Wenn die übermäßige und nicht nachhaltige Grundwassersförderung künftig andauert, wird dies bis Mitte des Jahrhunderts fatale Folgen für Flüsse, Seen und Feuchtgebiete haben. Die Forscher nutzten verschiedene Modelle zu künftigen Niederschlagsmustern, die von trockenen bis hin zu feuchten Klimaprognosen reichen. Demnach werden bis 2050 etwa 79% der Regionen mit Grundwasserförderung ihre Grenzwerte erreicht haben, wenn von einem sehr trockenen Klima ausgegangen wird. Selbst bei einem optimistischen Szenario mit mehr Niederschlägen wäre in 42% der Regionen mit Grundwasserförderung der Kipppunkt erreicht und die Süßwasserökosysteme würden Schaden nehmen. „Der Klimawandel wird diese Entwicklung eventuell noch beschleunigen, da wir weniger Niederschläge erwarten, was die Entnahme von Grundwasser zusätzlich erhöht und bereits trockene Gebiete ganz austrocknen lässt“, erklärt de Graaf.
In den letzten 50 Jahren haben Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung zu einem gewaltigen Anstieg des Süßwasserbedarfs geführt, vor allem für die Bewässerung von Nutzpflanzen. „Etwa 70% des abgepumpten Grundwassers weltweit wird für die Bewässerung verwendet“, so die Wissenschaftler. Fast die Hälfte der Bewässerung in der Landwirtschaft ist von Grundwasser abhängig. Das Problem ist, dass vielerorts mehr Wasser entnommen wird, als durch Regenfälle wieder ausgeglichen werden kann. „Sinkt der Grundwasserspiegel, steigen die Förderkosten, was zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führen kann. Wenn Brunnen austrocken, kann dies die Ernährungssicherheit vor Ort oder auf globaler Ebene gefährden“, warnen die Autoren. Der Studie zufolge wird in den USA Grundwasser für die Bewässerung in der Landwirtschaft bereits aus bis zu 300 Meter tiefen Brunnen geholt. Weltweit drohen Flussbetten auszutrocknen, gerade in den Regionen, in denen seit Jahren und Jahrzehnten Grundwasser gefördert wird. Für die Ökosysteme hat dies dramatische Folgen: „Es ist ziemlich klar, dass Fische und Pflanzen sterben, wenn sich kein Wasser mehr im Fluss befindet“, sagte de Graaf der Nachrichtenagentur AFP. Auffallend sei, wie empfindlich Süßwasserökosysteme auf einen selbst relativ geringen Abfall des Grundwasserspiegels reagierten. „Die Ergebnisse zeigen, dass das Ausmaß der Grundwasserförderung oft erst Jahrzehnte später spürbar wird.“ Eine Lösung liege in einer nachhaltigen Wassernutzung in der Landwirtschaft. (ab)
25.09.2019 | permalink
IPCC: Gletscherschmelze trifft Bauern und indigene Völker besonders hart

Schmelzende Gletscher und steigende Meeresspiegel: Der Klimawandel wird fatale Folgen für die Menschheit und Ökosysteme haben, wenn die Politik nicht rasch handelt. Und verletzliche Gruppen, wie arme Menschen, Bauern und indigene Völker, wird es besonders hart treffen. Das verkündet der Weltklimarat IPCC in seinem am 25. September vorgestellten Sonderbericht. Rund 130 Forscher aus 36 Ländern hatten dafür 7000 wissenschaftliche Studien ausgewertet. Die Zusammenfassung des Berichts, der sich mit dem Ozean und der Kryosphäre (alle Formen von Eis inklusive Gletscher, Meereis und Permafrostböden) befasst, wurde von den 195 IPCC-Mitgliedsstaaten Zeile für Zeile verabschiedet wurde. „Die Ozeane, die Arktis, die Antarktis und die Hochgebirgsregionen scheinen für manche Menschen weit weg“, betonte der Vorsitzende des Weltklimarates, Hoesung Lee. „Aber wir sind auf viele Arten abhängig von ihnen und werden von ihnen beeinflusst - direkt oder indirekt - sei es durch das Wetter und Klima oder bei Nahrung und Wasser, Energie, Handel, Verkehr, Erholung und Tourismus, Gesundheit und Wohlbefinden, Kultur und Identität.“
Der Bericht liefert neue Belege für die Vorteile einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf ein möglichst niedriges Niveau. „Wenn wir die Emissionen stark reduzieren, werden die Folgen für die Menschen und ihre Lebensgrundlagen immer noch herausfordernd sein, aber für die am stärksten gefährdeten Menschen potenziell überschaubarer“, sagte Lee. Dem Bericht zufolge sind alle Menschen auf der Erde direkt oder indirekt vom Ozean und der Kryosphäre abhängig. Insgesamt 670 Millionen Menschen leben in Hochgebirgsregionen, darunter viele indigene Völker. 680 Millionen Menschen in tiefer gelegenen Küstenzonen sind direkt von diesen Systemen abhängig. Vier Millionen Menschen leben dauerhaft in der Arktis und auf kleinen Inseln gelegene Entwicklungsländer sind die Heimat von 65 Millionen Menschen. „Die Ozeane und Kryosphäre der Welt haben jahrzehntelang die Hitze des Klimawandels gebremst und daher sind die Konsequenzen für Natur und Menschheit massiv“, erklärt Ko Barrett, Vize-Vorsitzende des IPCC. „Die schnellen Veränderungen im Meer und in den gefrorenen Teilen unseres Planeten zwingen Menschen – von den Küstenstädten bis hin zu abgelegenen Gemeinden in der Arktis – ihre Lebensweise grundlegend zu verändern.“
Der Weltklimarat warnt vor einer beschleunigten Eisschmelze: Schon jetzt schwinden Gletscher, Schneedecken, Meereis und Permafrostböden. Kleinere Gletscher in Europa, Ostasien und den tropischen Anden sowie in Indonesien könnten Prognosen zufolge, die von einem Szenario mit hohen Emissionen ausgehen, bis zum Jahr 2100 mehr als 80% ihrer aktuellen Eismasse verlieren. Auch das arktische Meereis wird immer dünner. Wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden könnte, wäre die Arktis jedoch nur einmal in 100 Jahren im September, dem am stärksten betroffenen Monat, eisfrei. Bei einer Erderwärmung um 2 Grad könnte dies alle drei Jahre geschehen. Der Anstieg der Meeresspiegel hat sich weiter beschleunigt. Während der globale Meeresspiegel im 20. Jahrhundert um etwa 15cm zunahm, steigt er jetzt mit 3,6 mm pro Jahr doppelt so schnell. Auch hier hängt das künftige Ausmaß davon ab, wie stark der Ausstoß von Treibhausgasen begrenzt wird. Bei einer starken Reduzierung wird der Meeresspiegel bis 2100 um 30-60 cm steigen, doch wenn die Emissionen weiter stark ansteigen, droht ein Anstieg von 60-110 cm. Auch das Tempo der Meereserwärmung hat sich seit 1993 mehr als verdoppelt. Die Erwärmung und Versauerung der Ozeane und ein veränderter Sauerstoff- und Nährstoffgehalt machen marinen Ökosystemen bereits heute zu schaffen, doch die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenarten sowie die von diesen Ökosystemen lebenden Menschen werden sich künftig verstärken.
Zu den Folgen für die Menschen schreibt der IPCC: „Die Ernährungs- und Wassersicherheit wurde durch Veränderungen bei der Schneedecke, dem Eis in Seen und Flüssen und dem Permafrost in vielen arktischen Regionen negativ beeinflusst.“ Für Menschen, deren Lebensgrundlage vom Jagen, Sammeln, Fischen und Hirtendasein abhängen, wurde der Zugang zu Nahrung erschwert und die kulturelle Identität der Arktisbewohner beeinträchtigt. Der Gletscherrückgang und Veränderungen bei Schneedecken haben zudem zu einer Verringerung der landwirtschaftlichen Erträge in einigen Hochgebirgsregionen, darunter der Hindukusch-Himalaya-Region und in den tropischen Anden, geführt. Das Schmelzen der Gletscher führt dazu, dass Bauern ihre Wasserquellen verlieren und die Bodenfeuchte abnimmt – auch in tiefergelegenen Gebieten, die von Schmelzwasser abhängig sind.
In den ländlichen Gemeinden in Hochgebirgen, die ohnehin schon stark von Armut betroffen sind, sind die Folgen fatal. Der Bericht führt etwa die Andenregion Perus als Beispiel an, wo die Gletscherschmelze in der Gebirgskette Cordillera Blanca Landwirte und die Bevölkerung vor Ort vor große Herausforderungen stellt. Seit 1970 sind die Gletscher in Peru aufgrund des Klimawandels um 40% geschrumpft. Der Klimawandel trifft in der Cordillera Blanca vor allem Menschen, denen es an Geld und Ressourcen, politischem Einfluss und Zugang zu Bildung und Gesundheit mangelt und deren Möglichkeiten, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, begrenzt sind. Anpassung erfordert die Ausbildung von Fähigkeiten bei Einzelpersonen und Gemeinschaften und erhebliche finanzielle Mittel, betont der Weltklimarat. In Richtung Politik senden die Wissenschaftler eine klare Botschaft: Schnelles Handeln muss absolute Priorität haben. „Die Ermöglichung von Klimaresilienz und nachhaltiger Entwicklung hängt entscheidend von dringender und ehrgeiziger Emissionsreduktion in Verbindung mit koordinierten anhaltenden und zunehmend ehrgeizigen Anpassungsmaßnahmen ab“, lautet eine der Hauptbotschaften des Berichts. (ab)
- Press release: Choices made now are critical for the future of our ocean and cryosphere
- Download report: Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate
- Sonderbericht Ozean und Kryosphäre: Deutsche Übersetzung der Hauptaussagen
- tagesschau.de: IPCC-Bericht vorgestellt: Weltklimarat stellt düstere Prognose
20.09.2019 | permalink
Vogelsterben: In Nordamerika sind seit 1970 ein Drittel der Vögel verschwunden

In Nordamerika ist die Zahl der Vögel in den letzten 50 Jahren um fast ein Drittel zurückgegangen. Das vermelden Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Science. Der Studie zufolge gibt es in den USA und Kanada fast drei Milliarden Vögel weniger als noch im Jahr 1970 – ein Rückgang um 29%. Die Wissenschaftler warnen vor einer ökologischen Krise. „Es ist ein starkes Anzeichen dafür, dass unsere vom Menschen veränderten Landschaften der Vogelwelt keinen Lebensraum mehr bieten“, sagte der Hauptautor der Studie, der Ornithologe Ken Rosenberg von der Cornell University. „Und das ist ein Indikator für einen bevorstehenden Zusammenbruch der gesamten Umwelt.“ Der Rückgang der Vogelzahlen zeigt sich in allen Lebensräumen, am stärksten betroffen sind jedoch die in Feld- und Wiesenlandschaften lebenden und brütenden Vogelarten. Hier gibt es 53% weniger Vögel als noch 1970 beziehungsweise 700 Millionen Tiere weniger bei den 31 untersuchten Vogelarten. Aber auch in den Nadelwäldern nahm die Zahl der Vögel deutlich ab. Selbst bei Generalisten, die in mehreren Lebensräumen klarkommen, bestätigte sich der Abwärtstrend.
Als Hauptgrund für den Rückgang der in Feld- und Wiesenlandschaften lebenden Vögel nennt die Studie das Verschwinden von Wiesen, die Ausdehnung von Ackerland sowie den zunehmenden Einsatz von Pestiziden, wodurch die Insekten getötet werden, die den Vögeln als Nahrung dienen würden. „Wir sehen das Gleiche auf der ganzen Welt geschehen, die Intensivierung der Landwirtschaft und Landnutzungsänderungen üben Druck auf diese Vogelpopulationen aus“, sagte Rosenberg gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. „Heute sieht man Maisfelder, die sich bis zum Horizont erstrecken. Alles ist keimfrei und mechanisiert, für Vögel, Wildtiere und Natur ist kein Platz mehr.“ Die Wissenschaftler schreiben: „Die Intensivierung in der Landwirtschaft und Urbanisierung sind mit einem Rückgang der Insektenvielfalt und Insektenbiomasse verbunden, was kaskadenhafte Auswirkungen auf Vögel und andere Insektenfresser hat. Da Vögel eine der am besten überwachten Tierarten sind, stellen Vögel möglicherweise auch die Spitze des Eisbergs dar, was auf ähnliche oder größere Verluste in anderen taxonomischen Gruppen hindeutet.“ Aber auch der Klimawandel und Katzen als Hauptfeind der Vögel tragen laut Ornithologen zum Vogelsterben bei.
Für die Studie kombinierte das Team von sieben Forschungseinrichtungen in den USA und Kanada zwei Datenquellen. Zum einen wurden Erhebungen ausgewertet, die jedes Frühjahr während der Brutzeit von Tausenden von Freiwilligen nach einer identischen Methodik seit 1970 durchgeführt wurden. Zum anderen wurden Daten von 143 Radarstationen genutzt, die die Vogelschwärme während der nachts stattfindenden Zugbewegungen erkennen können. Die Ergebnisse zeigen, dass die häufig vorkommenden Vogelarten am stärksten bedroht sind. Mehr als 90% Prozent der Verluste stammen aus 12 Vogelfamilien, darunter Spatzen, Amseln, Grasmücken und Finken. „Wir wollen, dass die gewöhnlichen Vögel weitverbreitet bleiben und wir schaffen nicht einmal das“, sagt Mitautor Peter Marra. „Setzt man dies in Kontext mit anderen Rückgängen, die wir beobachten – von Insekten bis hin zu Amphibien – deutet es darauf hin, dass ein Kollaps des Ökosystems vonstattengeht, der uns alle beunruhigen sollte. Dies zeigt uns, dass unsere Umwelt nicht gesund ist. Nicht für Vögel, und wahrscheinlich auch nicht für Menschen.“ Die Autoren betonen, dass ihre Ergebnisse ein deutliches Signal dafür sind, dass dringend die anhaltenden Bedrohungen durch Lebensraumverluste und landwirtschaftliche Intensivierung angegangen werden müssen, die sich durch den Klimawandel noch verschärfen werden. Nur so könne der anhaltende Verlust der biologischen Vielfalt und ein möglicher Zusammenbruch der kontinentalen Vogelwelt verhindert werden. (ab)
- Science: Decline of the North American Avifauna
- AFP.com: North American bird population fell by quarter over 50 years: study
- Cornell Chronicle: Nearly 30% of birds in U.S., Canada have vanished since 1970
- Cornell Lab of Ornithology: Nearly 3 Billion Birds Gone
- Science: Three billion North American birds have vanished since 1970, surveys show
19.09.2019 | permalink
Jeden Tag sterben immer noch 15.000 Kinder unter fünf Jahren

Auch wenn weltweit immer noch Millionen Kinder ihren fünften Geburtstag nicht erleben, hat es in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte bei der Verringerung der Kindersterblichkeit gegeben. Die Zahl der Todesfälle bei Kindern unter 5 Jahren sank 2018 auf 5,3 Millionen – ein Rückgang um mehr als die Hälfte im Vergleich zu 12,5 Millionen im Jahr 2000. Das ist die Botschaft eines neuen Berichts unter Federführung des UN-Kinderhilfswerks UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation WHO. Laut dem diesjährigen „Levels and Trends in Child Mortality“-Bericht überleben heute mehr Frauen und ihre Kinder weltweit als jemals zuvor: Seit 2000 sind die Todesfälle von Kindern fast um die Hälfte zurückgegangen und die Todesfälle von Müttern um über ein Drittel, vor allem durch verbesserten Zugang zu bezahlbarer und guter Gesundheitsversorgung. Jedoch starben 2018 an jedem Tag im Schnitt 15.000 Kinder unter fünf Jahren. „Es ist insbesondere nicht hinnehmbar, dass diese Kinder und Jugendlichen weitgehend an vermeidbaren oder behandelbaren Ursachen wie Infektionskrankheiten oder Verletzungen sterben, wenn wir über die Mittel verfügen, um diese Todesfälle zu verhindern“, schreiben die Autoren in der Einleitung des Berichts. Die Sterblichkeitsrate bei den unter Fünfjährigen sank auf 39 Fälle pro 1.000 Lebendgeburten, ein Rückgang um 49% gegenüber 76 Todesfällen im Jahr 2000.
„Trotz Fortschritten bei der Bekämpfung von Kinderkrankheiten sind Infektionskrankheiten nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen für Kinder unter 5 Jahren, insbesondere in Subsahara-Afrika und in Südasien“, heißt es im Bericht. Eine Lungenentzündung bleibt mit 15% der Todesfälle weltweit die häufigste Todesursache bei Kindern unter 5 Jahren. Durchfall (8%) und Malaria (5%) sowie Lungenentzündung machten 2018 fast ein Drittel der weltweiten Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren aus. „Mangelernährte Kinder, insbesondere solche mit schwerer akuter Unterernährung, haben ein höheres Todesrisiko durch diese häufigen Kinderkrankheiten. Ernährungsbedingte Faktoren tragen zu etwa 45 Prozent der Todesfälle bei Kindern unter 5 Jahren bei“, warnt der Bericht. Die Schätzungen zeigen auch große Ungleichheiten weltweit, wobei Frauen und Kinder in Afrika südlich der Sahara ein höheres Todesrisiko haben als in allen anderen Regionen. Das Risiko der Müttersterblichkeit ist für Frauen in Afrika südlich der Sahara fast 50 Mal höher als in Ländern mit hohem Einkommen. Im Jahr 2018 starb eines von 13 Kindern in Afrika südlich der Sahara vor seinem fünften Geburtstag – das ist eine 15 Mal höhere Rate als das Risiko, dem ein Kind in Europa ausgesetzt ist, wo nur eines von 196 Kindern im Alter von weniger als fünf Jahren stirbt.
2015 haben die Vereinten Nationen die 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) verabschiedet. Im SDG 3 nahmen sich die Regierungen vor, bis 2030 die Kindersterblichkeit in jedem Land der Welt unter 25 pro 1.000 Lebendgeburten zu senken. Die weltweite Müttersterblichkeit soll auf unter 70 je 100.000 Lebendgeburten gesenkt werden. Die Welt wird dieses Ziel um mehr als 1 Million Menschenleben verfehlen, wenn der aktuelle Trend sich fortsetzt und die Fortschritte nicht verstärkt werden. Dabei könnten die Todesfälle bei Müttern und Kindern leicht vermieden werden. „Erfahrene Helferinnen und Helfer, die Mütter und Babys rund um die Geburt betreuen, zusammen mit sauberem Wasser, richtiger Ernährung, einfachen Medikamenten und Impfungen können den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Wir müssen alles Nötige tun, um in eine Gesundheitsversorgung für alle zu investieren und diese wertvollen Leben zu retten“, forderte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. (ab)