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19.09.2017 | permalink
Artenvielfalt ade in Deutschland: Regenwürmer und Kuckucke schwinden

In Deutschland ist es um die Artenvielfalt schlecht bestellt, besonders in der Agrarlandschaft: Regenwürmer, Feldhamster und Feldhasen werden immer seltener und der Klimawandel wird weitere Veränderungen von Ökosystemen, Biotopen, Tier- und Pflanzenpopulationen verursachen. Das bestätigt die Bundesregierung in ihren Antworten auf zwei kleine Anfragen der Grünen. „Der noch vor wenigen Jahrzehnten in vielen Teilen Deutschlands als Schädling verfolgte Feldhamster hat sehr starke Bestandseinbrüche zu verzeichnen und wird daher bundesweit in der Roten Liste der Säugetiere als ‚vom Aussterben bedroht’ eingestuft“, so die Bundesregierung.
Aber auch die in Deutschland beheimateten 47 Regenwurmarten drohen zu schwinden. Von den 43 nach Rote-Liste-Kriterien bewerteten Regenwurmarten gelten mittlerweile 65% als selten, davon 32,6% gar als extrem selten“. Bei 9,3% der Regenwurmbestände gab es zuletzt eine Abnahme, während für 34,9% der Regenwurmarten aufgrund der unzureichenden Datenlage eine Aussage nicht möglich ist. „Je intensiver die Landnutzung desto geringer sind Artenzahl und Häufigkeit der Regenwürmer“, schreibt die Bundesregierung. „Auf Ackerflächen wirken sich konventioneller Pflugeinsatz, Bodenverdichtung durch Einsatz schwerer Maschinen, Schwarzbrache, verminderte Zufuhr organischer Substanz und Schadstoffeinträge negativ auf Regenwurmpopulationen aus.“ Eine nachweislich positive Entwicklung der Regenwurmpopulationen hingegen erzielten bodenschonende Bewirtschaftungsformen, wie eine konservierende Bodenbearbeitung oder der ökologische Landbau.
Doch der „überwiegend ungünstige Zustand der biologischen Vielfalt“ in Deutschland droht sich durch den Klimawandel weiter zu verschlechtern. Er wird die Ökosysteme in Deutschland in den nächsten Jahren rapide verändern. Ein besonders hohes Gefährdungsrisiko bestehe für Feuchtlebensräume (Feuchtwiesen, Feuchtwälder und Moore) und Kleingewässer (Tümpel, Quellen). Durch die Erwärmung und die Verlagerung des Niederschlagsmaximums in den Winter drohen solche Habitate auszutrocknen. Bei den Tieren sind nach Angaben der Bundesregierung Vertreter aus der Gruppe der Schmetterlinge (Tag- und Nachtfalter) besonders vom Klimawandel betroffen sind, gefolgt von Weichtieren und Käfern. Das Antwortschreiben nennt als Beispiele für bereits auftretende Veränderungen infolge des Klimawandels Verschiebungen jahreszeitlicher Entwicklungen, Verhaltensänderungen, Änderungen bei der Fortpflanzung und der Konkurrenzfähigkeit und veränderte Nahrungsbeziehungen. „Für viele der in Deutschland vorkommenden Arten werden sich die klimatisch geeigneten Lebensräume nach Norden und Osten, in höhere Lagen der Gebirge oder entlang von Feuchtegradienten verschieben.“ Der Temperaturanstieg werde sich vor allem auf eine Reihe von kälteliebenden Arten auswirken, bei den Vögeln zum Beispiel der Kuckuck oder der Bergpieper, bei denen bereits ein Rückzug in höhergelegene und kühlere Regionen beobachtet werde.
Doch diese Flucht vieler Arten in nördliche oder höherliegende Gefilde ist in Deutschland aufgrund der stark fragmentierten Natur nicht möglich – der Verlust dieser Arten somit unumgänglich, warnt Steffi Lemke, Sprecherin für Naturschutzpolitik der grünen Bundestagsfraktion, die gemeinsam mit anderen Abgeordneten die Anfrage gestellt hatte. Schuld daran sei zum großen Teil auch die verfehlte Naturschutzpolitik der Bundesregierung. „Diese war im Zuge der eigenen Biodiversitätsstrategie dazu verpflichtet das sogenannte Biotopverbundsnetzwerk auf 10% der Fläche bis zum Jahr 2010 umzusetzen. Doch nichts ist passiert“, beklagt Lemke. Der Biotopverbund soll die Erschließung neuer Lebensräume ermöglichen und das Fortbestehen bedrohter Arten in Zeiten der Klimakrise sichern, indem er verschiedene Lebensräume in Deutschland miteinander verknüpft. Doch Lemke bemängelt, dass bei der Verabschiedung des Bundesnaturschutzgesetzes im Juni auf Drängen der Unions-Fraktion sogar eine Zeitvorgabe für dieses Ziel gestrichen worden sei. „Damit unsere Kinder den Kuckuck nicht nur aus dem Musik-Unterricht kennen, muss die Bundesregierung den Klimaschutz endlich angehen und Tieren die Erschließung neuer Lebensräume ermöglichen“, fordert sie. (ab)
15.09.2017 | permalink
Zahl der weltweit Hungernden steigt auf 815 Millionen Menschen

Die Zahl der Hungernden weltweit ist wieder gestiegen: 815 Millionen Menschen leiden an Unterernährung - jeder neunte. Dies geht aus einem heute veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen hervor. Demnach litten 2016 rund 38 Millionen mehr Menschen Hunger als noch 2015. Die Herausgeber – die Landwirtschaftsorganisation FAO, der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), das Welternährungsprogramm (WFP), UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation – machen vor allem die Zunahme von gewalttätigen Konflikten und Klimakatastrophen für den Rückschritt verantwortlich. Der Großteil der weltweit Hungernden lebt mit 520 Millionen Menschen immer noch in Asien, gefolgt von Afrika mit 243 Millionen und Lateinamerika und der Karibik mit 42 Millionen. Doch nicht nur die absolute Zahl der Hungernden stieg, auch der Anteil der Hungernden an der wachsenden Weltbevölkerung kletterte von 10,6% auf 11%. Die prozentual am stärksten von Unterernährung betroffene Region ist Afrika: Dort leidet jeder Fünfte an Unterernährung, in Ostafrika sind es gar 33,9%. In Asien hungert fast jeder Achte (11,7%). Eingang in die Statistik findet rein rechnerisch nur, wer über ein Jahr lang im Schnitt weniger als etwa 1800 Kalorien zu sich nimmt.
Doch der Bericht hält noch weitere schlechte Nachrichten bereit: Weltweit gibt es immer noch 155 Millionen Kinder, die aufgrund chronischer Unterernährung zu klein für ihr Alter sind (stunted). Dazu kommen 52 Millionen Kinder unter fünf, die aufgrund von Mangelernährung zu wenig für ihre Größe wiegen (wasting). 41 Millionen Kinder sind übergewichtig. Die UN-Organisationen sprechen von einem Alarmsignal: Die Beseitigung des Hungers und aller Formen der Mangelernährung, wie im 2. UN-Nachhaltigkeitsziel anvisiert, wird nicht gelingen, wenn nicht alle Ursachen angegangen werden, die Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung bedingen. Der Bericht konzentriert sich dennoch vor allem auf eine einzige Ursache: Konflikte. „Das Scheitern bei der Verringerung des Hungers in der Welt ist eng mit der Zunahme von Konflikten und Gewalt in mehreren Teilen der Welt verknüpft“, schreiben die Chefs der fünf Organisationen im Vorwort. „Während des letzten Jahrzehnts hat die Zahl der Konflikte dramatisch zugenommen und sie wurden komplexerer und verfahrener. Der höchste Anteil an ernährungsunsicheren oder mangelernährten Kindern ist in Ländern zu finden, in denen Konflikte vorherrschen. Und die Lage ist noch alarmierender in Staaten, die durch lang anhaltende Konflikte und schwache Institutionen gekennzeichnet sind.“ Unterernährung und Konflikte sind eng verknüpft: „60% der Hungernden leben in Krisengebieten – dieser Hunger ist vermeidbar und von Menschen verursacht“, betonte WFP-Exekutivdirektor David Beasley auf der Pressekonferenz in Rom. Er bezeichnete die Rückschläge bei der Hungerbekämpfung angesichts des weltweiten Wohlstands als eine Schande. Das Risiko, an Unterernährung zu leiden, ist für Menschen in Ländern mit lange anhaltenden Krisen 2,5 Mal höher als andernorts. Aber auch klimabedingte Krisen, wie Dürren und Überflutungen, verstärkten den Hunger. Der Bericht nennt den Südsudan, Somalia, den Nordosten Nigerias und den Jemen als aktuelle Beispiele.
„Die meisten Konflikte treffen besonders ländliche Gebiete und deren Bevölkerung hart und bedrohen die Landwirtschaft, die Ernährungssysteme und Existenzen. In vielen Konfliktländern ist die Landwirtschaft von zentraler Bedeutung für die Ernährungssicherheit großer Teile der Bevölkerung“, warnt der Bericht. Im Schnitt leben 56% der Bevölkerung in Konfliktländern in ländlichen Gebieten, wo die Existenz größtenteils von der Landwirtschaft abhängt. In einigen Ländern mit lange anhaltenden Konflikten beträgt der Anteil mehr als 80%, zum Beispiel in Burundi, Äthiopien und Niger. Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssicherheit könnten zudem auch einige Ursachen von Konflikten abschwächen, z. B. manche Menschen davon abhalten, sich bewaffneten Gruppen anzuschließen oder illegale Aktivitäten aufzunehmen, so die Autoren. „Mehr Stabilität bei den Lebensmittelpreisen und ein Erstarken der Landwirtschaft und Lebensmittelmärkte vor Ort könnte verletzlichen Menschen und Haushalten dabei helfen, mit den Auswirkungen von Konflikten besser umzugehen. (ab)
12.09.2017 | permalink
Studie: Bio-Böden speichern mehr Kohlenstoff und zwar langfristiger

Ökologisch bewirtschaftete Böden speichern größere Mengen an Kohlenstoff und dies zudem langfristiger als konventionell bewirtschaftete Äcker. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfassende Studie aus den USA, die von Wissenschaftlern der Northeastern University gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation „The Organic Center“ durchgeführt wurde. Die Forscher fanden heraus, dass ökologisch bewirtschaftete Böden einen höheren Anteil an Huminstoffen aufweisen, weshalb sie atmosphärischen Kohlenstoff besonders effektiv und langfristig im Boden binden können. Die Studie, die am 1. Oktober im Fachjournal „Advances in Agronomy“ erscheinen wird, bescheinigt Bio-Böden ein 26% größeres Potenzial Kohlenstoff langfristig zu speichern als Böden unter konventioneller Bewirtschaftung. Die Autoren betonen, dass es bereits zahlreiche Studien gebe, welche die positiven Auswirkungen des Ökolandbaus auf die organische Bodensubstanz belegten. Doch dies sei die erste wissenschaftliche Untersuchung, die sich umfassend mit der langfristigen Kohlenstoffspeicherung im Boden unter verschiedenen Anbausystemen USA-weit beschäftigte.
Das Team der Northeastern University verglich mehr als 1000 Bodenproben von Biobetrieben und konventionell wirtschaftenden Betrieben, wobei unterschiedliche Anbaumethoden, Feldfrüchte und Bodentypen berücksichtigt wurden. Als Datengrundlage diente sowohl das „National Soil Project“, das seit 2008 vor allem den Bodenkohlenstoffgehalt konventionell bewirtschafteter Böden misst, als auch 659 Bodenproben von Biobetrieben aus 39 US-Bundesstaaten aus den Jahren 2015 und 2016. Die Wissenschaftler gelangten zu dem Ergebnis, dass auf den Ökobetrieben der Kohlenstoffgehalt der Böden höher war und zwar um 13%. Besonderes Augenmerk schenken sie jedoch den Huminstoffen, die beim Abbau von abgestorbenem, organischem Material entstehen. „Wir haben uns nicht nur den Gesamtkohlenstoffgehalt angeschaut, sondern auch die Bodenkomponenten, die einen stabilen Pool an organischem Kohlenstoff aufweisen – Huminstoffe. Dies vermittelt uns ein akkurates und präzises Bild von der stabilen, langfristigen Kohlenstoffbindung im Boden“, sagte Dr. Jessica Shade, Leiterin des Wissenschaftsprogramms von „The Organic Center“. Die Studie ermittelte einen höheren Anteil von Fulvo- und Huminsäuren in ökologisch bewirtschafteten Böden. Im Schnitt war der Anteil von Huminsäuren – jenen Bodenbestandteilen, die eine hohe Stabilität aufweisen und daher Kohlenstoff langfristig speichern – im Ökolandbau um 44% höher. Der Anteil an Fulvosäuren im Boden war auf Biohöfen 150% höher als auf konventionellen Betrieben.
Die Autoren schreiben dem Ökolandbau daher eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zu. Huminstoffe seien widerstandsfähig gegen Bodendegradation und hielten sich mehrere hundert oder gar tausende Jahren im Boden. Je höher der Gehalt von Huminstoffen im Boden, desto länger speichern Böden Kohlenstoff und entziehen diesen der Atmosphäre. „Diese Ergebnisse unterstreichen das Potenzial des Ökolandbaus, die Kohlenstoffbindung in Böden zu steigern und so zur Verringerung einer der Hauptursachen des Klimawandels beizutragen“, sagte Dr. Shade. Laut „The Organic Center“ tragen im Ökolandbau häufig zum Einsatz kommende Praktiken, wie abwechslungsreiche Fruchtfolgen, der Anbau von Zwischenfrüchten zur Gründüngung oder die Nutzung von Mist und Kompost wahrscheinlich auch zu einer Erhöhung des Anteils von Huminstoffen im Boden bei. Dr. Geoffrey Davies von der Northeastern University sagte dem Nachrichtenmagazin Civil Eats: „Was ich nun gerne als nächstes herausfinden möchte, ist ob Huminstoffe in ökologisch bewirtschafteten Böden mit jenen in konventionellen Böden übereinstimmen.“ Sollten sie sich unterscheiden, wäre dies Dr. Davies zufolge ein weiteres Anzeichen dafür, dass wir mit Praktiken der konventionellen Landwirtschaft wie dem Einsatz von Mineraldünger „der Natur zuwiderlaufen“. (ab)
- The Organic Center: Breakthrough study shows organic cuts agriculture’s contribution to climate change
- Civil Eats: New Study Shows Organic Farming Traps Carbon in Soil to Combat Climate Change
- Website: The Organic Center
- Weltagrarbericht: Bodenfruchtbarkeit und Erosion
- Advances in Agronomy: National Comparison of the Total and Sequestered Organic Matter Contents of Conventional and Organic Farm Soils
08.09.2017 | permalink
Faire EU-Handelsbeziehungen mit Afrika statt Billigfleischexporte

Deutschland muss sich in der EU endlich für faire Handelsbeziehungen mit Afrika einsetzen – diesen Appell richtete das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt am Montag an die Bundesregierung. Denn obwohl die EU und Deutschland afrikanischen Staaten Unterstützung beim Aufbau einer eigenen Wirtschaft zugesagt haben, schaden europäische Exporte von Geflügelresten in afrikanische Länder immer noch der Wirtschaft vor Ort. „Unsere Billighühner ruinieren Afrikas Märkte. Und kein Hahn kräht danach“, kritisiert Brot für die Welt im Dossier „Das globale Huhn. Die Folgen unserer Lust auf Fleisch“, das am 7. September veröffentlicht wurde. 2016 hat die EU ihre Exporte von Geflügelfleisch nach Afrika auf 680 Millionen Kilogramm erhöht - ein Anstieg von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Da der Verkauf der in Europa begehrten Hähnchenfilets bereits gewinnbringend sei, würden die Ausfuhrpreise von Hähnchenteilen auf im Schnitt 0,75 Euro pro Kilogramm gedrückt. Brot für die Welt nennt das Beispiel Liberia: Dort wird Geflügelfleisch aus Europa für nur 0,48 Euro pro Kilogramm importiert, während auf dem Markt in der Hauptstadt Monrovia ein Kilo einheimische Hähnchenschenkel 2,50 Euro kosten. „Da kann kein einheimischer Geflügelmäster mithalten, und weil die Konkurrenz fehlt, wird der EU-Billigpreis noch nicht einmal an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben. So machen Importeure und die EU-Schlachtindustrie das große Geschäft auf dem Rücken der Kleinmäster in Afrika“, beklagt Francisco Marí, Agrarhandelsexperte von Brot für die Welt.
Die meisten EU-Geflügelfleischexporte gingen 2016 nach Südafrika, Benin und Ghana. Deutsche Ausfuhren sind laut Statistik zurückgegangen und werden vermehrt über das Hauptexportland Niederlande abgewickelt. „Die Überflutung der Märkte Westafrikas mit Masthähnchen begann um die Jahrtausendwende“, erläutert Mari in einem Interview im Dossier. „Einige Länder wie Ghana hatten damals schon eine eigene erfolgreiche Mast aufgebaut. Die Staaten standen zu diesem Zeitpunkt mit der Weltbank und dem IWF in harten Verhandlungen, um ihre Schulden zu reduzieren.“ Der Schutz ihrer Märkte und hohe Einfuhrzölle standen dabei im Widerspruch zur Weltbankstrategie der freien und offenen Märkte als Entwicklungsmotor. Die wirtschaftlichen Folgen der billigen Geflügelfleischimporte waren fatal, tausende Kleinmästerinnen und Kleinmäster verloren ihre Existenz. Nur einigen Ländern gelang es, die massenhafte Einfuhr von Billigfleisch aus dem Ausland zu stoppen. Brot für die Welt führt Kamerun an, wo seit 2006 ein faktisches Importverbot besteht und keine Importlizenzen für Geflügelteile vergeben werden. Auch wenn viele der früheren Mästerinnen und Mäster, die aufgrund der Importe den Betrieb einstellen mussten, sich nicht erholen konnten, hat sich die Lage etwas entspannt. Seit 2006 verzehnfachte sich die einheimische Produktion auf 125.000 Tonnen in 2015. Wurden 2004 noch 24.000 Tonnen Hühnerfleisch importiert, waren es 2016 nur noch 180 Tonnen. „Doch wenn Staaten wie Kamerun jetzt EPA-Abkommen mit der EU unterzeichnen, kann die EU fordern, ihre einheimischen Märkte wieder für die europäischen Tiefkühlteile zu öffnen“, fürchtet Mari.
Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) sollen Afrika zollfreien Marktzugang in die EU gewähren, doch im Gegenzug dürften die afrikanischen Länder nach und nach auf 80% der EU-Waren keine Zölle mehr erheben. In Wirklichkeit profitieren die armen Länder wenig von den offenen EU-Märkten, da sie viele ihrer Produkte unverarbeitet exportieren. „Abkommen wie die EPAs, die Afrika schlechter stellen als zuvor, sind mit Sicherheit der falsche Weg“, betont Mari. Würde stattdessen der Aufbau einer Verarbeitung in afrikanischen Staaten unterstützt, könnten dort Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies würde auch dem innerafrikanischen Handel einen enormen Schub geben und für einen regen Warenaustausch sorgen. Brot für die Welt appelliert daher an die Bundesregierung, sich in der EU für Änderungen der bestehenden Wirtschaftspartnerschaften einzusetzen. „Die EU muss, wie die Bundeskanzlerin auf einer G20-Veranstaltung versprochen hat, Afrika neue faire Handelsbeziehungen anbieten, fordert die Präsidentin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel. Dazu gehöre, dass sich Staaten vor EU-Billigexporten schützen können müssen. Am besten wäre es, die EPAs der EU mit Afrika auszusetzen und neue faire Abkommen zu verhandeln, so Füllkrug-Weitzel. (ab)
05.09.2017 | permalink
Ökospitzenreiter Österreich: 22% der Fläche unter Biolandwirtschaft

Der Ökolandbau in Österreich befindet sich im Aufwind: 2016 wurde mehr als ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche biologisch bewirtschaftet und pro Tag stellten im Schnitt fünf Betriebe auf Bio um. Das vermeldete am Montag BIO AUSTRIA, das Netzwerk der österreichischen Biobäuerinnen und Biobauern. Demnach wurden 571.585 Hektar oder 22% der landwirtschaftlichen Nutzfläche im vergangenen Jahr biologisch bewirtschaftet. 21.820 Höfe oder rund 19% aller landwirtschaftlichen Betriebe setzten auf Ökolandbau. „Damit ist sowohl die Zahl der Betriebe als auch die biologisch bewirtschaftete Fläche gegenüber 2015 um je fünf Prozent gewachsen. Mehr als jeder fünfte Hektar in Österreich wird mittlerweile nach Bio-Richtlinien bewirtschaftet“, betonte Gertraud Grabmann vom Bio Austria-Vorstand. Salzburg ist hier das führende Bundesland: 53,9% der Fläche wird dort ökologisch bewirtschaftet und 44,9% aller Betriebe sind Biohöfe. Schlusslicht bei der Fläche ist Vorarlberg mit einem Anteil von 14,6%, während Oberösterreich bei der Betriebszahl mit 15,6% die Rote Laterne hat.
„Österreich ist nach wie vor Spitzenreiter im Bereich der biologischen Landwirtschaft innerhalb der EU. Besonders in den letzten beiden Jahren ist die Bio-Landwirtschaft hierzulande erneut beachtlich gewachsen“, sagte Grabmann. Es handle sich nicht nur um einen kurzfristigen Boom. „Die aktuellen Zahlen zeigen vielmehr, dass man von einem gesunden, nachhaltigen Wachstum sprechen kann. Produktionszuwächse und Absatz der Bio-Produkte entwickeln sich im Gleichklang“, fügte sie hinzu. Laut aktuellen Zahlen von Agrar Markt Austria (AMA) wurden 2016 in Österreich Bio-Lebensmittel im Gesamtwert von rund 1,6 Milliarden Euro gekauft – ein sattes Plus von 23 Prozent gegenüber 2014.
Beim Bioflächenanteil liegt Österreich im EU-Vergleich weit vorne und bewirtschaftet als einziges Land mehr als 20% der landwirtschaftlichen Nutzfläche biologisch. Auf mehr als 10% brachten es 2015 nur Schweden (16,9%), Italien (11,7%) und Tschechien (11,3%). Deutschland befindet sich immer noch im einstelligen Bereich und ist damit weit von dem seit Jahren genannten 20%-Ziel entfernt. Doch es geht voran: Nach den aktuellen Strukturdaten zum ökologischen Landbau in Deutschland, die Mitte Juli vom Bundeslandwirtschaftsministerium veröffentlicht wurden, kletterte der Bioflächenanteil 2016 auf 7,5%. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche wuchs gegenüber dem Vorjahr um fast 15% von 1.088.828 auf 1.251.320 Hektar an. Die Zahl der Biobetriebe stieg um 9,6% auf 27.132 Betriebe.
Damit auch in Zeiten des Klimawandels eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig ernährt werden kann, gibt es laut Grabmann einige Herausforderungen zu bewältigen. „Der menschenverursachte Klimawandel ist gerade für die Landwirtschaft allgegenwärtig. Immer häufiger treten extreme Wetterphänomene auf, die oft zu drastischen Konsequenzen für Bäuerinnen und Bauern führen. Auch in Österreich stehen extremer Witterung geschuldete Ernteausfälle mittlerweile an der Tagesordnung.“ Sie betonte jedoch auch, dass die Landwirtschaft global gesehen nicht nur Leidtragende, sondern auch Mitverursacherin der Klimaveränderungen ist. „Hier muss es daher rasch die richtige Antwort geben, und diese lautet: die Landwirtschaft ökologischer gestalten.“ (ab)
31.08.2017 | permalink
Böden verloren 133 Milliarden Tonnen Kohlenstoff durch Landwirtschaft

Die Böden dieser Welt sind der größte terrestrische Kohlenstoffspeicher. Doch seit Beginn der Landwirtschaft vor etwa 12.000 Jahren wurden 133 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus den oberen zwei Metern der Bodenschicht freigesetzt. Und der Verlust von Bodenkohlenstoff hat sich in den letzten 200 Jahren seit dem Einsetzen der industriellen Revolution dramatisch beschleunigt. Das zeigt eine neue Studie, die am 21. August im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen ist. Das Forscherteam kam zu dem Ergebnis, dass durch die Landwirtschaft ebenso viel Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt wurde wie durch die Rodung von Wäldern. „Die Ausbreitung der Landwirtschaft hat eine große Kohlenstoffschuld in den Böden hinterlassen“, sagte der Hauptautor der Studie, Dr. Jonathan Sanderman vom Woods Hole Research Center, einer Denkfabrik zum Thema Klimawandel in den USA. „Doch es ist bisher schwierig gewesen, den Umfang und die räumliche Verteilung des Verlustes von organischem Kohlenstoff im Boden durch Änderungen in der Landnutzung und Bodenbedeckung zu bestimmen.“ Den Autoren zufolge gingen die Ergebnisse früherer Studien weit auseinander: Schätzungen reichten von 40 bis 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Die Forscher wagten nun einen neuen Versuch mit einem auf maschinelles Lernen gestützten Modell, das globale Daten zu Bodenkohlenstoff und Landnutzung einbezieht.
Demnach waren in den oberen zwei Metern der Böden weltweit 133 Milliarden Tonnen Kohlenstoff mehr gespeichert, als noch keine Landwirtschaft betrieben wurde. „Ich denke, dass wir in der Vergangenheit den Umfang der Emissionen, die aus Böden aufgrund von Landnutzungsänderungen freigesetzt wurden, unterschätzt haben“, sagte Sanderman der Washington Post. Der Studie zufolge trug der Ackerbau etwa zu einem gleichen Anteil zur Freisetzung des Bodenkohlenstoffs bei wie die Viehhaltung. Obwohl der Anbau von Feldfrüchten prozentual einen höheren Anteil pro Fläche freisetze, schlage die Viehzucht insgesamt etwas mehr zu Buche, da es fast doppelt so viele Weideflächen wie Ackerland gebe. Weltweit variieren Umfang und Anteil des Rückgangs an Bodenkohlenstoff aufgrund der großen Unterschiede bei Bodeneigenschaften, Klima, Art der Landnutzungsänderungen und der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen. Die Autoren betonen auch, dass es bei einer landwirtschaftlichen Bodennutzung nicht unbedingt zu einem Verlust an Bodenkohlenstoff kommen muss. Bei Böden, die von Natur aus eine geringe Fruchtbarkeit aufweisen, kann der Gehalt verbessert werden, wodurch das Pflanzenwachstum profitiert.
Die Wissenschaftler möchten mit ihren Ergebnissen eine Grundlage für politische Maßnahmen bieten, die darauf abzielen, den Kohlenstoffgehalt der Böden wieder zu erhöhen. „Unsere Karten zeigen Brennpunkte des Verlusts an Bodenkohlenstoff, oft in den wichtigsten Ackerbaugebieten und den Regionen, in den Weideland stark degradiert ist. Dies legt nahe, dass Regionen identifiziert werden können, die das Hauptziel der Bemühungen sein sollten, Böden wieder mit Kohlenstoff anzureichern“, schreiben die Autoren. „Die große Bodenkohlenstoffschuld kann als das maximale Potenzial betrachtet werden, das die Böden bieten, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen und so als natürliche Lösung für den Klimawandel zu dienen. Selbst wenn nur ein Bruchteil dieses Potenzials genutzt würde, wäre dies eine wichtige Strategie zur Abmilderung des Klimawandels“, betont Sanderman. Die Forscher bezeichnen nachhaltige Methoden der Bodenbewirtschaftung, die den Kohlenstoff wieder in den Boden bringen, wie ausgeklügelte Fruchtfolgen, den Anbau von Zwischenfrüchten zur Bodenbedeckung und eine verringerte Bodenbearbeitung, als große Chance. „Eine Änderung der großflächigen landwirtschaftlichen Praktiken, um einen Teil der verloren gegangenen Bodenkohlenstoffvorräte wiederherzustellen, könnte eine wertvolle Strategie sein, um den Klimawandel abzubremsen“, sagte Mitautor Dr. Thomas Crowther vom Yale Climate and Energy Institute gegenüber CarbonBrief. „Wenn eine regenerative Landwirtschaft zumindest einen Teil des Kohlenstoffs, den wir verloren haben, wieder in den Boden bringen könnte, wäre dies ein kostbares Werkzeug in unserem Kampf gegen den Klimawandel.“ (ab)
- PNAS: Soil carbon debt of 12,000 years of human land use
- Washington Post: This is why when you talk about climate change, you can’t ignore agriculture
- Woods Hole Research Center: New study finds soil carbon losses nearly equal to total emissions from deforestation
- klimaretter.info: Landwirtschaft häuft Klimaschulden an
28.08.2017 | permalink
Studie: Kleinräumig geprägte Landwirtschaft fördert die Artenvielfalt

Eine kleinräumig geprägte Landwirtschaft wirkt sich positiv auf die Biodiversität aus. Das zeigt eine neue Studie von Wissenschaftlern der Universität Göttingen, die im Fachjournal Nature Ecology & Evolution erschienen ist. Die Agrarökologen verglichen die traditionell großräumige Landwirtschaft im Osten Deutschlands mit der eher kleinräumigen Landwirtschaft im Westen hinsichtlich ökologischer und ökonomischer Aspekte. Zwar fielen für die Bewirtschaftung kleinerer Felder höhere Kosten für die Landwirte an, doch auf die Biodiversität wirkte sich die Kleinräumigkeit ähnlich stark fördernd aus wie eine Umstellung auf ökologischen Landbau, lautet das Fazit der Forscher. „Großräumigkeit führte zu keinem höheren Ertrag, aber zu 50 Prozent mehr Gewinn für die Landwirte - wegen der geringeren Produktionskosten“, erläutert der Hauptautor der Studie, Dr. Péter Batáry. Allerdings geht eine großräumig geprägte Landwirtschaft in Ostdeutschland zulasten der Biodiversität.
Für die Studie untersuchte die Forschergruppe zahlreiche Gruppen von Pflanzen und Insekten entlang der Grenze zwischen Niedersachsen und Thüringen und erfasst das Vorkommen. „Wir wollten mehr wissen über die Kosten und Vorteile des Ökolandbaus und der Landschaftsstruktur sowohl für die Biodiversität als auch die Profite der Landwirte“, schreibt Batáry in einem Begleitartikel zur Studie. „Daher haben wir ökologische und konventionelle Betriebe im einstigen Osten mit Betrieben in Westdeutschland entlang des einstigen Eisernen Vorhangs verglichen.“ Die kleinräumige, von Feldrändern und Randstrukturen geprägte Landwirtschaft im westlichen Bundesland wies eine höhere Biodiversität auf. Denn mehrere kleinere Felder im Westen bieten rund 70 Prozent mehr Feldränder im Vergleich zum Osten, berechneten die Wissenschaftler. Was den Profit angeht punkteten die großen Äcker, denn obwohl der Ertrag der Feldfrüchte in beiden Regionen ähnlich war, konnten die Großlandwirte im Osten pro Fläche doppelt so hohe Erträge verbuchen. Eine Umstellung auf ökologischen Landbau führte in beiden Landschaftstypen trotz geringerer Erträge im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft zu einer Gewinnverdopplung bei den untersuchten Betrieben.
Die Forscher fordern eine Berücksichtigung einer kleinteiligen Landwirtschaft bei der Verteilung der Gelder der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik. „Die Kleinräumigkeit der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung für die Biodiversitätsförderung ist genauso wichtig wie die Umstellung auf ökologischen Landbau, spielt aber leider bei der Förderung im Rahmen der EU-Agrarpolitik bisher keine Rolle“, so Batáry. Da kleinere Höfe höhere Bewirtschaftungskosten als riesige Betriebe haben - aber auch mehr Nutzen für die Artenvielfalt - müssten diese stärker gefördert werden. Statt je mehr Geld desto mehr Fläche also eine Förderung entsprechend des Nutzens für die Biodiversität. (ab)
25.08.2017 | permalink
Studie: Klimabedingte Ernteausfälle treiben Indiens Bauern in den Selbstmord

Die Folgen des Klimawandels fordern in Indien bereits ihren Tribut: Fast 60.000 Bauern und Landarbeiter haben sich dort in den letzten 30 Jahren das Leben genommen, da steigende Temperaturen und ausbleibende Regenfälle die Ernteerträge einbrechen lassen. Dies besagt eine Studie der University of California in Berkeley, die in der August-Ausgabe des Fachjournals Proceedings of the National Academy of Sciences erschien. Agrarökonomin Tamma Carleton wertete für die Jahre 1967 bis 2013 die offiziellen Selbstmordstatistiken für alle Bundesstaaten Indiens aus und verglich diese mit Ernteertrags- und Klimadaten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Dürre und ausbleibende Regenfälle während der Vegetationsperiode zu mehr Selbstmorden führten, da Bauern durch die resultierenden Missernten Einkommensausfälle erlitten und sich aus Verzweiflung das Leben nahmen. Kletterten die Temperaturen in der Hauptanbauphase so hoch, dass sich dies negativ auf die Ernten auswirkte, stieg auch die Zahl der Selbsttötungen. An Tagen mit über 20 Grad löste allein ein Anstieg um ein Grad Celsius 70 zusätzliche Selbsttötungen aus. Bei einem Anstieg um 5 Grad verfünffachte sich der Effekt. „Die Tragödie ereignet sich schon heute, es handelt sich nicht um ein Problem künftiger Generationen“, warnt Studienautorin Carleton. Doch sie prognostiziert, dass sich die Selbstmordraten künftig erhöhen werden, da die Temperaturen weiter ansteigen.
In Indien arbeitet mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der regenabhängigen Landwirtschaft, die empfindliche reagiert auf Klimaschwankungen wie unvorhersehbare Monsun-Regenfälle, Hitzewellen und Dürre. Hitzewellen verursachen beispielsweise Ernteausfälle, die Carleton zufolge wiederum Auswirkungen auf die indische Wirtschaft haben, da schlechte Ernten die Lebensmittelpreise erhöhen, weniger Jobs in der Landwirtschaft schaffen und die Haushaltsersparnisse aufzehren. Während dieser Phase begehen erschütternd viele Menschen Selbstmord, vor allem männliche Haushaltsvorstände. „Ohne Maßnahmen, die Familien bei der Anpassung an ein wärmeres Klima helfen, wird wahrscheinlich eine steigende Zahl an Menschenleben dem Selbstmord zum Opfer fallen, wenn sich der Klimawandel in Indien verstärkt“, warnt Carleton. Höhere Temperaturen und geringe Regenfälle außerhalb der Hauptvegetationsphase führten nicht zu höheren Selbstmordzahlen, was Carleton als Beleg dafür wertet, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft in der Anbauphase in der Tat ein entscheidender Einflussfaktor sind.
In Indien hat sich die Zahl der Selbstmorde seit 1980 fast verdoppelt auf jährlich 130.000 Fälle. Der Studie zufolge sind 6,8% des Anstiegs auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung zurückzuführen. Carleton schätzt, dass steigende Temperaturen während der letzten drei Jahrzehnte in Indien schon für 59.300 Selbstmorde verantwortlich sind. Die Zahl könnte noch größer sein, da es in Indien eine hohe Dunkelziffer bei Selbsttötungen gibt, unter anderem auch, da ein Gesetz bis 2014 versuchten Selbstmord unter Strafe stellte. „Es war schockierend und traurig zu sehen, dass tausende Menschen mit solch schwierigen Bedingungen konfrontiert sind, die sie dazu treiben, sich selbst Schaden zuzufügen“, sagte Carleton. Doch wenn man wisse, dass die Verzweiflung ökonomische Ursachen habe, könne auch etwas dagegen getan werden. „Die richtigen politischen Maßnahmen könnten tausende Menschenleben retten“, so die Autorin. Wenn Bauern und Landarbeiter gegen größere wirtschaftliche Ausfälle durch Maßnahmen wie Ernteversicherungen und Verbesserungen auf ländlichen Kreditmärkten geschützt würden, könnte dies Selbstmorde verhindern. Die indische Regierung hat bereits ein 1,3 Milliarden US-Dollar schweres Versicherungsprogramm geplant, um die hohe Selbstmordrate zu senken. Es wird sich zeigen, ob es ausreichend und effektiv sein wird. (ab)
22.08.2017 | permalink
Studie: Intensivierung der Landwirtschaft lässt Feldvögel schwinden

Die Zahl der Feldvögel hierzulande nimmt dramatisch ab, da die Intensivierung der Landwirtschaft den Lebensraum vieler Vogelarten zerstört oder ihr Nahrungsangebot schmälert. Das zeigt eine Studie des Forschungsinstituts für Ökosystemanalyse und -bewertung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, für die im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion der aktuelle Wissensstand zusammengetragen wurde. „Insgesamt ist eine zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft zu verzeichnen d.h. zunehmende maschinelle Bearbeitung, erhöhter Düngereinsatz, erhöhter Einsatz von Pestiziden, etc. mit entsprechenden Folgen für landwirtschaftlich genutzte Biotope und die darin beheimatete Biodiversität“, schreiben die Wissenschaftler. „Geht man in Zukunft von einer Fortführung dieser Bewirtschaftungsintensität beziehungsweise sogar von einer Erhöhung aus, könnten ganze Agrarlandschaften vogelleer werden“, lautet ihre eindringliche Warnung.
Bereits Anfang Mai hatte die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen für Aufsehen gesorgt: Demnach ist in der EU die Zahl der Brutpaare in landwirtschaftlichen Gebieten zwischen 1980 und 2010 um 300 Millionen Tiere oder 57% zurückgegangen. Am meisten betroffen sind die Vögel in Agrarlandschaften. Zwischen 1990 und 2013 sank in Deutschland die Zahl der Rebhühner um 84% - 80% der Kiebitze, 63% der Braunkehlchen, 61% der Uferschnepfen und 35% der Feldlerchen verschwanden. Die Forscher der RWTH Aachen analysierten nun die Ursachen. Die industrialisierte Landwirtschaft setzt den Feldvögeln am stärksten zu, lautet ihr Fazit. So beraubt die Trockenlegung und Zerstörung von Feuchtgebieten sowie die Umwandlung von Grünland die Vögel ihres Lebensraums. 70% der landwirtschaftlich genutzten Offenlandbiotope werden in der Roten Liste mit hohem Verlustrisiko geführt und drohen somit zu verschwinden, schreiben die Wissenschaftler.
Ein Hauptfaktor sind jedoch auch Pestizide, die auf die Felder gespritzt werden. Ihre Menge erhöhte sich in den letzten 20 Jahren um rund 65%, die eingesetzte Wirkstoffmenge stieg von 1994 bis 2015 von etwa 30.000 Tonnen auf über 48.000 Tonnen an. „Das heißt auf der gleichen Fläche werden heute deutlich mehr schädliche Substanzen für Käfer, Regenwürmer, Bienen und Schmetterlinge ausgebracht. Dieser Einsatztrend hat sich seit dem Jahr 2009 noch einmal beschleunigt“, beklagen die Autoren. Hinzu komme, dass Herbizide wie Glyphosat vermehrt zur Reifebeschleunigung von Feldfrüchten eingesetzt werden. Hierdurch werde das Nahrungsangebot an Wildkräutern und Samen auf und neben dem Feld stark eingeschränkt. „Verglichen mit Erhebungen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Bestandsentwicklung sowohl was die Artenzahl als auch die Populationsdichte angeht dramatisch: Auf genutzten Äckern sank die Artenzahl von Ackerwildkräutern seit 1950/60 um 71%, die Populationsdichten nahmen sogar um mehr als 95% ab“, ist der Studie zu entnehmen.
Die Grünen fordern daher eine Agrarwende, um die Vogelbestände zu schützen. „Wir brauchen mehr Ökolandbau, eine ambitionierte Politik, um Pestizideinsatz drastisch herunterzufahren und einen effektiven Schutz für das Grünland“, ließ die Bundestagsfraktion in einer Pressemitteilung verlauten. Bei einem Weiter-wie-bisher prognostizieren die Wissenschaftler der RWTH Aachen, dass ehemals häufige oder gar sehr zahlreiche Feldvogelarten wie Wiesenpieper und Kiebitz aus weiten Teilen ihres früheren Verbreitungsgebiets verschwinden werden: „Dieser heute schon zu beobachtende Trend, dass frühere „Allerweltsvogelarten“ wie Feldlerche oder Rebhuhn in manchen Gegenden zu Raritäten geworden sind oder schon gar nicht mehr vorkommen, wird sich fortsetzen.“ Aus heutiger Sicht sei nicht auszuschließen, dass einzelne, ehemals häufige Vogelarten vollständig als Brutvögel aus Deutschland verschwinden oder nur mit marginalen Restpopulationen überleben. (ab)
- Forschungsinstitut für Ökosystemanalyse und -bewertung e.V.: Studie zu Bestandstrends
- Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: Weniger Vögel auf Feld und Flur
- Berliner Zeitung: Industrielle Landwirtschaft: Ganze Landstriche in Deutschland sind ohne Feldvögel
- Weltagrarbericht: Ausgezwitschert: Vögel der Agrarlandschaft in Deutschland verschwinden
18.08.2017 | permalink
Push-Pull: Mit natürlichen Waffen Armut und Hunger bekämpfen

Die Push-Pull-Methode zur natürlichen Bekämpfung von Pflanzenschädlingen hilft Kleinbauern weltweit, Armut und Hunger zu überwinden, und kann daher einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) leisten. Dies ist die Botschaft eines Gastartikels auf der IISD-Plattform “SDG Knowledge Hub” von Zeyaur Khan, Programmleiter für Push-Pull am Internationalen Insektenforschungs-institut icipe in Kenia und Samuel Ledermann, Programmkoordinator bei der Schweizer Stiftung Biovision, die an der Verbreitung von Push-Pull von Hof zu Hof in Subsahara-Afrika arbeitet. Die Autoren betonen, dass die Push-Pull-Methode ein gutes Beispiel dafür ist, wie eine wissensintensive Methode zu einer bewährten Lösung von Problemen wie Ernteeinbußen durch Schädlinge und ausgelaugte Böden werden kann. Push-Pull wirkt sich nicht nur positiv auf das 2. UN-Nachhaltigkeitsziel aus, das den Hunger weltweit beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern will, schreiben die beiden Experten in ihrem Artikel. Die Methode leiste zudem einen Beitrag zu SDG 1 (Armut beenden), SDG 5 (Geschlechtergerechtigkeit erreichen) und SDG 15 (Bodenverschlechterung stoppen).
Die Push-Pull-Methode hilft gegen zwei Plagegeister, die Bauern in Afrika das Leben schwermachen und starke Ernteeinbußen verursachen können: Die Stängelbohrer-Motte, die ihre Eier in Mais und Hirse legt und deren Larven dann die Pflanzenhalme aushöhlen, sowie Striga, ein ertragsminderndes Unkraut, das die Maiswurzeln anzapft und der Pflanze Nährstoffe und Wasser entzieht. Bei Push-Pull wird zwischen den gelockerten Reihen von Mais oder Hirse die Hülsenfrucht Desmodium gepflanzt. Sie unterdrückt Striga ganz ohne Chemie. Der Desmodium-Geruch „stinkt“ dem Stängelbohrer und vertreibt ihn so (push). Um die Felder herum wird Napiergras gepflanzt, das eine unwiderstehliche Wirkung auf Stängelbohrer-Weibchen ausübt (pull). Die Larven, die aus den ins süße Napiergras gelegten Eiern schlüpfen, verenden bei dem Versuch, sich in das Gras hineinzufressen, in dessen klebrigem Pflanzensaft. Anfang 2017 wurde Push-Pull in Ostafrika bereits von rund 140.000 Bauern praktiziert, schreiben Ledermann und Khan.
Den Autoren zufolge hilft Push-Pull dabei, SDG2 zu erreichen, da dank der Abwehr der zwei Plagen Stängelbohrer und Striga zum Beispiel Bauern in Kenia ihre Maiserträge von weniger als einer Tonne pro Hektar auf 3,5 Tonnen steigern konnten. Mittlerweile wird dort auch eine neue Desmodium-Sorte angepflanzt, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit ist und mit der die Hirseerträge von weniger als einer Tonne pro Hektar auf 2,5 Tonnen stiegen. Daher leistet die Methode einen wichtigen Beitrag zu Unterziel 2.3, das die landwirtschaftliche Produktivität und die Einkommen von Kleinbauern bis 2030 verdoppeln will. In Bezug auf SDG 1 bescheren die Ertragszuwächse den Bauern ein besseres Einkommen und wirken so der Armut entgegen. Zudem liefern die beiden Pflanzen Desmodium und Napiergras ein wertvolles Zusatzfutter für das Vieh, das die Milchproduktion erhöht. Wenn die Bauern die nicht benötigten Reste verkaufen, können sie zudem ihre Einkommensquellen diversifizieren.
Was das 5. SDG anbelangt ist Push-Pull laut Khan und Ledermann eine Technologie, die aufgrund gezielter Informationskampagenen vor allem von Frauen angewandt wird. Die Programme zur Verbreitung von Push-Pull sehen zudem die Produktion von Saatgut auf Gemeindeebene vor, wobei Frauengruppen Desmodiumsamen vermehren und so ein zusätzliches Haushaltseinkommen generieren. Da Desmodium eine Leguminose ist und mit ihren Knöllchenbakterien Stickstoff aus der Luft im Boden fixiert, wirkt sich Push-Pull auch positiv auf SDG 15 aus: Die Methode reduziert die Bodenerosion, hält Feuchtigkeit besser im Boden und erhöht die Kohlenstoffspeicherung, da weniger gepflügt werden muss. Khan und Ledermann stehen mit ihrer Meinung übrigens nicht alleine da. Mehr als 100 wissenschaftliche Fachartikel belegen mittlerweile, dass Push-Pull eine bewährte Methode ist, um Pflanzenschädlinge ohne den Einsatz von Chemie im Zaum zu halten. (ab)
- IISD's SDG Knowledge Hub: Push-Pull for Addressing the SDGs: Implementing Holistic Agricultural Development Technology
- Push-Pull: A novel farming system for ending hunger and poverty in sub-Saharan Africa
- Weltagrarbericht.de: Push-Pull in Äthiopien
- UN Knowledge Platform: Sustainable Development Goals